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ZitatAlles anzeigenGiardien bei Hund, Katze und Mensch: Auf dem Weg zur Weltherrschaft?
05.10.2016
Von Ralph Rückert, TierarztDer Artikel wurde von mir im November 2015 veröffentlicht und hat sehr weite Verbreitung gefunden. Inzwischen haben sich einzelne Punkte geändert, so dass kleine Überarbeitungen notwendig geworden sind. Diese Anmerkungen habe ich der besseren Übersichtlichkeit halber fett gedruckt in den Originaltext eingefügt. Wer den Artikel schon kennt, kann sich also auf das Fettgedruckte konzentrieren.
Darf ich vorstellen: Giardia intestinalis, alias G. lamblia, alias G. duodenalis, ein einzelliger Darmparasit, der sowohl den Menschen als auch viele Tierarten befallen kann. Bei Jungtieren und ganz allgemein bei immungeschwächten oder anderweitig erkrankten Individuen können Giardien relativ heftige Durchfälle auslösen. Die Behandlung kann sich hartnäckig gestalten, zu Todesfällen kommt es aber eigentlich nur bei Menschen und Tieren, die bereits durch andere Faktoren extrem geschwächt worden sind oder die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
Treibt man sich regelmäßig in Diskussionsforen oder Facebook-Gruppen herum, kann man aber den Eindruck bekommen, dass die Giardien auf dem Weg dazu sind, die Weltherrschaft an sich zu reißen und zu diesem Zweck alle unsere Hunde und Katzen (und eventuell auch noch uns Menschen!) um die Ecke zu bringen. Die Aufregung nimmt nicht selten hysterische Züge an, über die man nur noch den Kopf schütteln kann.Es ist paradox! Mahnt man als Tierarzt an, die nötigen Impfungen und die Parasitenprophylaxe nicht aus an den Haaren herbeigezogenen und oft reichlich paranoiden Ängsten zu vernachlässigen, wird man blitzschnell und reflexartig als geldgeiler Panikmacher beschimpft. Versucht man aber die völlig überzogene Giardien-Hysterie durch nüchterne Aufklärung ein wenig einzudämmen, wird einem ebenso schnell der geharnischte Vorwurf der Verharmlosung eines gigantischen und für Millionen von Haustieren lebensgefährlichen Problems um die Ohren gehauen.
Wer ist das eigentlich, der diese angeblich neue, in Wirklichkeit aber uralte Sau durchs Dorf treibt? Nun, und das ist für mich mal wieder schmerzhaft zuzugeben, die Tierärzteschaft ist auf jeden Fall daran beteiligt. Es ist ja durchaus positiv zu sehen, dass wir heute durch Schnelltests in der Lage sind, innerhalb von Minuten sehr zuverlässig herauszufinden, ob sich in einer Kotprobe Giardien-Material befindet, denn dadurch kann vielen Durchfallpatienten, bei denen man früher therapeutisch im Nebel stochern musste, schnell und zielgerichtet geholfen werden. Es wird aber ganz sicher viel zu viel getestet und demzufolge auch viel zu viel therapiert. Um die (oft genug zweifelhafte) Notwendigkeit von Test und Therapie zu verdeutlichen, greifen einige Kolleginnen und Kollegen zu - wie soll ich sagen - etwas drastischen Risikobeschreibungen, die durchaus dazu geeignet sein können, beim Tierhalter ein gewisses Maß an Angst aufkommen zu lassen.
Kommt nun dieser verschreckte Tierhalter vom Tierarztbesuch nach Hause, springt er - wie sollte es heutzutage anders sein - auf der Stelle in die virtuellen Schlangengruben der Internet-Foren und Facebook-Gruppen, und dann schlägt schlichte Angst unweigerlich in helle Panik um, denn dort werden Giardien mindestens als Garant für einen monatelangen Leidensweg, wenn nicht gar als potenziell tödliche Diagnose verkauft. Da kann man auch auf Leute treffen, die so und so viele Jahre Erfahrung in der Tierschutzarbeit für sich beanspruchen und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit im kernigen Jargon des erfahrenen Tierschutz-Frontschweins verkünden, dass sie schon jede Menge Hunde hätten an Giardien "verrecken" sehen.
Hakt man an dieser Stelle als Tierarzt mit der Bemerkung ein, dass man selbst in über einem Vierteljahrhundert Praxistätigkeit noch nie einen Patienten an Giardien sterben gesehen hätte und eventuelle Todesfälle bei in schlechtem Allgemeinzustand befindlichen Tierschutz-Tieren wohl eher durch zusätzliche Faktoren erklärbar wären, kann man damit locker einen Miniatur-Shitstorm auslösen, bei dem einem angesichts der dabei zur Anwendung kommenden persönlichen Beleidigungen schnell mal die Spucke wegbleibt. Drama, Baby, Drama!!! Deeskalation und Realismus nicht erwünscht!
Mal ernsthaft: Kann man an Giardien sterben? Ja, klar! Man kann an allem sterben, an einer vereiterten Zahnwurzel genauso wie an einem Schnitt in den Finger oder einer örtlichen Betäubung auf dem Zahnarztstuhl. Es sind schon immer Menschen und Tiere an Sachen gestorben, die dem Immunsystem der meisten anderen keinen Tropfen Schweiß auf die Stirn treiben würden. Bei einem ruinierten Abwehrsystem - und das müssen wir bei vielen Tierschutz-Tieren aus extrem schlechten Verhältnissen mal pauschal unterstellen - kann letztendlich jeder noch so harmlose Infekt das Fass endgültig zum Überlaufen bringen.
Geschätzt erkranken pro Jahr mindestens 200 Millionen Menschen an Giardiasis. Zu den dadurch ausgelösten und vergleichsweise sehr wenigen Todesfällen kommt es regelmäßig nur dann, wenn sogar eine simple Infusion die örtlichen medizinischen Möglichkeiten übersteigt und weitere Faktoren wie Unterernährung und ähnliches hinzukommen. Dann kann es tatsächlich sein, dass ein Patient, ob Mensch oder Tier, "an Giardien verreckt", obwohl diese Beschreibung dann wieder nicht wirklich zutreffend ist, weil neben den Giardien noch ganz andere Probleme an diesem Ausgang beteiligt sind.
Trotz all dem bleibt es eine Tatsache: Giardien sind Mistviecher! Sie sind definitiv schon viel länger auf der Welt als der Mensch und alle seine Haustiere und dementsprechend zäh und anpassungsfähig. Die Durchfälle, die sie bei ungenügend immunkompetenten Menschen und Tieren auslösen können, sind durchaus unerfreulich. Wenn man sich als Mensch in einem schlechten Moment (z.B. auf Reisen, Stichwort Reisediarrhoe oder Montezumas Rache) eine Giardiasis einfängt, kann es sein, dass der Toilettensitz für einige Tage zum besten Freund wird. Besonders hart kann es kleine Kinder und Jungtiere mit ihrem noch unausgereiften Immunsystem erwischen.
Aber auch hier gilt wieder: Eine symptomatische Erkrankung bekommen nur sehr wenige von denen, die sich mit Giardien infizieren. In den gemäßigten Zonen (also auch hierzulande) sind zu jedem Zeitpunkt etwa 10 Prozent der Erwachsenen und mindestens 25 Prozent der Kinder mit Giardien infiziert und scheiden diese auch aus. Wissen die wenigsten und kratzt auch keinen! In deutschen Kindergärten wurden schon Infektionsraten von bis zu 60 Prozent gefunden. Ebenso sind 15 bis 20 Prozent aller Hunde, die da draußen rumlaufen (und damit natürlich auch ihre Kothaufen) mit Giardien infiziert. Schaut man sich nur Jungtiere an, kommen manche Untersuchungen auf eine Infektionsrate von 100 Prozent.
Von irgendeinem Parasitologen habe ich mal den Spruch gehört, dass Giardien wahrscheinlich schon die Saurier geplagt haben. Giardien sind also absolut nicht „eine neue Seuche“ (eine besonders blöde Bezeichnung, die ich peinlicherweise auf einer tiermedizinischen Homepage gefunden habe), sondern waren mit Sicherheit bei Mensch und Tier immer schon weit verbreitet.
Giardien waren und sind also allgegenwärtig. Heute finden wir sie nur leichter als früher. Es macht dementsprechend keinen Sinn, wild in der Gegend rumzutesten und rumzutherapieren. Wer viel misst, misst viel Mist! Es macht auch keinen Sinn, sich ständig vor Giardien zu fürchten, denn man kann ihnen so oder so nicht ausweichen. Ich habe schon von Hundebesitzern gehört, die den Haltern von gerade aktuell positiv getesteten Hunden das Gassigehen oder jeden Hundekontakt untersagen wollen oder die ihren eigenen Hunden verbieten, am Kot anderer Hunde zu riechen. Auch das ist völlig sinnlos. Die Fortpflanzungsstadien (Zysten) des Parasiten bleiben in der Umwelt wochenlang infektiös. Ein Kothaufen ist dann mit dem bloßen Auge schon lange nicht mehr als solcher erkennbar. Der Hund kann ihn trotzdem noch riechen und tut das auch. Oder er läuft einfach durch und schleckt sich nach dem Spaziergang die Pfoten sauber, und schon ist es passiert. In einem Kothaufen können sich Millionen von Zysten befinden, für eine Infektion reichen angeblich bereits zehn davon. Über den weiteren Verlauf entscheidet dann das Immunsystem, und das ist meist ganz gut drauf, denn sonst wären wir alle schon lange mit einer kollektiven Riesen-Scheißerei aus dieser Welt abgetreten.
Zitat gekennzeichnet / Admin Jassi0207 09.10.17