Ihr Lieben,
wie Ihr wisst, taucht in Marsiks Geschichte sein behinderter Katerfreund Picco auf, der auch bei mir sein Zuhause hat.
Ihr habt mich gebeten, über Picco zu berichten und das werde ich hier tun. Mit Marsik hat er drei, nein, sogar vier Gemeinsamkeiten: er ist ein Kater, getigert, trägt Windeln und lebt bei mir.
Auch dieses Katerlein hat Schlimmes hinter sich, jedoch ganz anders als Marsik.
Ich sagte schon, dass ich Pflegestelle für Katzen bin. Die meisten meiner Schützlinge wurden im Laufe der Jahre vermittelt, es kamen immer wieder neue Tiere nach. Da ich die beiden ehemaligen Kinderzimmer als Katzenstuben nutzen kann, bot es sich an, werdende Katzenmütter oder Fundkatzen mit ihren Jungen aufzunehmen. Die Katzenmütter haben dort einen ruhigen Raum für sich, in dem sie ungestört ihre Babies zur Welt bringen und die Kleinen versorgen können.
Nach einer gewissen Zeit dürfen alle das Zimmer verlassen und meine Wohnung immer wieder auf's Neue verwüsten, bis sie ein neues Zuhause gefunden haben.
So hätte es auch mit Picco sein sollen.
Vor zwei Jahren im Sommer erhielt meine Tierschutzkollegin einen Anruf,
der sich so ähnlich abgespielt haben muss:
"Hallo, ich bin Frau XY und ich habe da ein Problem."
(alle Antennen gehen hoch!)
"Was ist denn Ihr Problem?"
"Ja, in meinem Garten im Schuppen sitzt eine Katze mit ihren Jungen."
"Die gehört niemandem?"
"Nein, hier gibt es ja viele herrenlose Katzen. Aber die muss da weg."
"Ist die Katze denn zahm? Können Sie sie anfassen? Haben Sie gesehen, ob sie eine Tätowierung hat? Wie alt sind die Jungen und wie viele sind es?"
"Ob die tätowiert ist, weiß ich nicht, aber anfassen kann ich sie manchmal, wenn ich sie füttere. Ja, und die Kleinen, das sind fünf, die sind vielleicht so sechs Wochen alt. Aber die müssen da jetzt weg. Und mein Kater macht auch schon Theater."
(Aufstöhnen wird halbwegs unterdrückt)
"Frau XY, warum melden Sie sich erst jetzt bei uns? Es wird dringend Zeit, dass die Familie unterkommt. Wenn die Jungen noch älter werden, wird es schwierig, sie an Menschen zu gewöhnen. Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass in kürzester Zeit sechs unkastrierte Katzen in Ihrem Garten herumlaufen könnten?"
"Darum sag ich ja, die müssen da weg! Und mein Kater will die hier auch nicht!"
Das ist das "täglich Brot" meiner Tierschutzkollegin. In den letzten Jahren wurde es immer schlimmer, man las von sämtlichen Tierheimen und anderen Katzenschutzvereinen, dass es eine Katzenschwemme gäbe, dass immer mehr Katzen aufgenommen werden müssten und dass alle Pflegestellen bis unters Dach voll säßen. Uns erging es da nicht anders, aber ein paar Tage später hatte ich einige Stubentiger umgesiedelt und ein Zimmer für die kleine Familie bereit gemacht.
Besuch beim Tierarzt, Wurmkur etc. und Mama konnte mit ihren Kindern einziehen. Sie war ein wenig ängstlich und ihre fünf Kinder wussten noch nicht, ob man den Menschen trauen kann oder sich besser unsichtbar macht.
Nach kurzer Zeit hatten sie sich aber einigermaßen eingewöhnt.
Fünf süße kleine Fellknäuel, drei Jungs und zwei Mädchen, tobten fröhlich herum und Mama saß zufrieden auf der Fensterbank und behielt den Überblick.
Doch zwei, drei Wochen später betrat ich morgens die Kinderstube und mir bot sich ein Bild, das ich nie mehr vergessen kann. In einem überdachten Körbchen lagen drei Katzenkinder, ein Katzenmädchen war in der Nacht gestorben und zwei Katerchen, eins davon Picco, hatten sich angekuschelt. Es sah aus, als hätten sie dem sterbenden Schwesterchen noch ein wenig Wärme geben wollen. Zu beschreiben, wie es in mir aussah, fehlen mir die Worte.
Am selben Tag schlief auch das zweite Katzenmädchen für immer ein.
Jeder, der so etwas schon erlebt hat, weiß, wie es mir danach ging und sogar heute noch, zwei Jahre später, geht.
Die dann folgenden Tage waren furchtbar. Das Katzenzimmer mochte ich kaum betreten, wäre dann aber am liebsten rund um die Uhr drin geblieben um zu beobachten. Ein paar Tage war alles in Ordnung mit den anderen doch eines Morgens wurden wieder zwei Katerchen krank. Sie hatten ein wenig gespuckt, mochten nicht fressen und verkrochen sich. Ihr Fell sah struppig aus. Picco war gesund.
Gar nicht erst beim Tierarzt angerufen, die Beiden gleich in die Box und mit zitternden Knien zur Praxis gefahren.
Auch diese Kleinen hatte das Virus erwischt, das nicht näher bestimmt werden konnte. Sie wurden sofort mit Antibiotika, Vitaminen und ich weiß nicht, was noch, behandelt. Ich fuhr täglich in die Praxis, sie wurden behandelt und nach einigen Tagen zeigte sich eine Besserung.
Man kann vermuten, dass ihr Immunsystem stärker war als das ihrer Schwestern.
Und dann traf es Picco doch noch. Sein Körperchen hatte so lange der Krankheit widerstehen können, aber es reichte dann doch nicht.
Picco erwischte es ganz schlimm. Als die Medikamente nach zwei Tagen keine Besserung bewirkt hatten, musste er stationär aufgenommen werden. Er erhielt seine Medikamente durch Infusion und musste drei Tage dort bleiben. An einem Freitag bekam ich den Anruf aus der Praxis. Schon die Nummer des Tierarztes auf dem Display meinesTelefons hatte mich erstarren lassen, aber man sagte mir, ich könne den Kleinen abholen.
Da bekam ich nun meine Handvoll Kater, Etliches an homöopathischen Mitteln, ein paar Spritzen und zwei Dosen spezielles Aufbaufutter und durfte nach Hause fahren. Picco sah noch sehr krank und kümmerlich aus und ich hatte Angst vor dem, was da auf mich zu kam. Was, wenn es ihm schlechter geht? Was, wenn ich das mit ihm nicht schaffe?
Ich baute zunächst eine Gitterbox auf, denn wo sollte ich ihn sonst geschützt unterbringen? Ein Klo brauchte ich nicht hineinzustellen, denn er war viel zu schwach es zu benutzen. Weiche Decke, ein kuscheliges Nestchen, das war die Ausstattung.
Und dann saß ich daneben und beobachtete ihn. Alle zwei Stunden bekam er Wasser mit der Spritze und ein bisschen von dem Aufbau-Futterbrei. Ab und zu ein frisches Handtuch unter den Po, weil er Pipi gemacht hatte. Immer wieder hielt ich ihn auf dem Arm und hoffte, dass es gutgehen möge.
Picco hielt durch und es wurde jeden Tag ein bisschen besser. Er lag in seinem Nestchen und schlief sehr viel. So bemerkte ich zunächst gar nicht, dass er nicht lief. Es war ja klar, dass er noch schwach war und erst wieder aufholen musste. Auch das Wackeln mit dem Köpfchen erklärte ich mir mit Schwäche.
Doch beim nächsten Tierarzttermin eröffnete man mir, dass er eine schwere Ataxie zurückbehalten hätte und wohl nie würde laufen können. Auf meine Frage, ob man dagegen nicht noch etwas tun könne, wurde mir geantwortet, dass man noch die Präparate, die er bereits bekam, weitergeben könne, aber wenn dann keine Besserung festzustellen sei, sei es sicher, dass er nicht mehr laufen würde und dann müsse man sehen...
Mir dämmerte, was der Satz bedeuten sollte und ich war entsetzt! Nicht mein Picco! Nicht das Katerchen, mit dem ich um sein kleines Leben gekämpft hatte! Nicht er, der mich mit wachen Augen ansah und nur nicht laufen konnte. Auf keinen Fall würde ich zustimmen, dass er eingeschläfert würde.
Und so ist Picco wohl eine der am schwersten behinderten Ataxiekatzen, die leben.
Seine beiden Brüderchen, die auch die Krankheit überstanden hatten, zeigen eine leichte Unsicherheit beim Gebrauch ihrer Hinterbeinchen, die auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Sie haben bei Menschen mit einem großen Herz für Katzen und einem großen katzensicheren Garten ein tolles Zuhause gefunden. Picco hat es am schlimmsten erwischt, aber er hat hier für immer sein Zuhause.
Wie wir mit den Problemen, die seine Behinderung mit sich brachten, fertig wurden, möchte ich heute nicht mehr berichten.
Seine Geschichte so zu erzählen, bedeutet für mich, alles wieder zu erleben und das ist anstrengender als ich dachte.
Ich hänge ein paar Fotos von Picco, als er noch klein war, an.